Hatten erfolgreiche Menschen einfach mehr Glück? Diese Frage stellt sich schnell, beobachtet man doch im Alltag den ein oder anderen Menschen, der auf den ersten Blick unverdient oder auf unverständliche Weise erfolgreich zu sein scheint. Gleichzeitig ist wesentlicher Bestandteil der ewiggleichen elterlichen Ermahnung zur Leistung: Ohne Fleiß kein Preis! Der Taugenichts im Ferrari ist also die Ausnahme von der Regel und der stille fleißige deshalb unbekannt, eben weil er still und fleißig ist?
Caleb Hudson, Trompeter beim weltweit gefeierten Canadian Brass Quintet berichtete bei einer Masterclass mit Musikstudenten, dass aus seiner Sicht ein wichtiges Ingredenzium des Erfolgs nicht die tunnelblickgleiche Fokussierung auf das angestrebte Ziel sei.
Mindestens genauso wichtig wenn nicht wichtiger sei es, ein Mensch zu sein, der anderen – unabhängig vom Prestige – bei ihren Projekten bereit ist zu helfen, anderen eben bei ihrem Erfolg zu helfen. Nur so sei man am Ende die Person, die eine Auswahl schon gewonnen hat, bevor sie überhaupt weiß, das man an sie gedacht hat. Was von außen betrachtet wie Glück aussieht, ist demnach die Resonanz des eigenen Handelns.
Diese Erkenntnis aus der Welt der Profimusiker lässt sich auf so gut wie jeden anderen Lebensbereich übertragen.
Die Welt ist ein vernetztes System, niemand ist eine Insel. Die Tür zum Erfolg öffnen einem nur andere Menschen, sei es von außen weil sie vorausgehen oder von innen, weil sie bereits dort sind. In beiden Fällen tun sie es, weil Du ein Mensch bist, mit dem sie gerne zusammenarbeiten oder zusammensein möchten.
Auch anders herum ist es klar und einfach zu sagen: Was auch immer Du tust, sei dabei kein Mensch, mit dem andere nur ungern Zeit verbringen wollen. Du kannst Dich dann so sehr anstrengen wie Du willst, es wird nicht gelingen.
Rilkes Imperativ
Den Kant’schen Imperativ kennen wir alle, von einem Rilk’schen habe ich noch nie etwas gehört, bevor er mir in einem Buch über die Philosophien Europas begegnete. Gemeint ist der Schlusssatz des berühmten Sonetts „Archaischer Torso Apollos“ von Rainer Maria Rilke: „Du musst Dein Leben ändern.“
Große Denker haben sich mit dem Sonett und dem schließenden Imperativ befasst. Ohne es bis ins letzte Eck zu verstehen, kann ich den Grundgedanken nachvollziehen: Rilke geht es um das Potenzial, das im Menschen, in jedem Menschen steckt – wenn er denn aktiv wird. Der Mensch kann und sollte nach Vervollkommnung streben. Die Idee der Änderung impliziert, dass nur das stetige Streben – die Übung – zulässiges Mittel ist, das Stehenbleiben auf der Stufe des bereits Erreichten also nicht.
Wer da mal nicht auch zugleich an Sysiphos denkt. Der ist aber nicht gemeint, denn nicht das ewiggleiche, sondern die Veränderung ist der Pfad.
Übertragen auf die Frage nach dem Glück des Tüchtigen, ist hier also vom Glück des Übenden, des Strebenden und des Handelnden die Rede. Allzugroß sind die begrifflichen Unterschiede nicht. Wichtiger als die Philosphie dahinter, ist die doppelte Kausalität: Durch das aktive Handeln, ändert sich die Reaktion der Welt auf mich. Durch das übende Handeln ändere ich mich selbst. Beides zusammen führt zu dem, was wir Glück nennen.
Zurück zu Caleb Hudson, der als Musiker viel vom übenden Menschen verstehen wird, dies aber eben nicht in den Vordergrund rückt, ja sogar davor warnt! Genauer betrachtet warnt er nicht vor dem Üben, sondern vor der absoluten Fokussierung darauf, vor der Erwartungshaltung, dass man das Glück durch Fleiß erzwingen kann. „Du musst Dich ändern!“ sagt Rilke, nicht „Du mußt dich quälen!“. Diese Änderung setzt Hudson in Beziehung zu den anderen. Wer übt und an sich arbeitet, erwirbt Kapital, um anderen etwas zu geben. Auch wenn es nur gute Laune ist.
Erst in dem Wechselspiel aus Disziplin und Menschlichkeit entsteht die Resonanz, die Konsonanz, die glückliche Fügung – und das Ziel rückt in greifbare Nähe.
P.S.
Ein Nebengedanke sei erlaubt: Wenn Du Dein Leben ändern musst, ist ausgeschlossen, dass sich Dein Leben nicht ändern ließe.